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Socialbar: Expertentalk und Lerneffekte

Socialbar
Am Dienstag war wieder Socialbar im tazcafé und ich seit längerem mal wieder dabei. Schön zu sehen, dass das Interesse nach wie vor da ist. Mir scheint, da wächst was. Echte NGOler waren zwar immer noch nicht so richtig viele da, aber dafür ein paar NPOler (böse, wer vermutet, dass all diejenigen, deren (Online-)Projekte nichts abwerfen, sich als Non-Profit-Organisation verstehen). Die Referate waren dieses Mal durchwachsen:

Easy to use? LXDEMario Behling hat über „neue Projekte aus globalen Cloud-Community“ berichtet. Auch nach seinem Vortrag, den den Moritz Adler treffend als „werblich“ betwitterte, ist mir (und wohl nicht nur mir) nicht so ganz klar geworden, welchen Nutzen Organisationen aus der vorgestellten grafischen Arbeitsoberfläche LXDE ziehen sollen. Klar, es ist kostenlos, offen und schnell – aber Software ist m. E. nicht das zentrale Problem von Organisationen im gemeinnützigen Sektor, vielmehr die Frage, wie man Menschen Technologien näher bringen und diese möglichst barrierefrei (vulgo: einfach) gestalten kann. Diesen Aspekt streifte Mario nur am Rande.

Den Nutzen von Blogs für NPO im lokalen Bereich hat Hauptstadtblogger Günter Bartsch vorgestellt. Seine PPT-Folien waren hübsch und das Thema ganz interessant (Blogs als Konkurrenz und Gegenöffentlichkeit in Regionen, in denen etablierte Printmedien die Berichterstattung monopolisieren). Die Argumente fand ich allerdings ein bißchen einseitig positiv bis dünne – da ist die Debatte schon etwas weiter: Brigitte Reiser hat kürzlich anschaulich dargelegt, warum sich gemeinnützige Organisation gerade nicht blindlings auf alle Web 2.0-Möglichkeiten stürzen.

Spannend fand ich die kurze Präsentation von SocialBlogger und „Special Guest aus Hamburg“ Ole Seidenberg, der derzeit mit einer kleinen, spontanen Spendenaktion für den Obdachlosen Uwe für einigen Wirbel sorgt und bis dato schon 250 Euro gesammelt hat.

Die Aktion selbst ist absolut ehrenswert, auch wenn wir kritisiert haben, dass es fragwürdig ist, Einzelschicksale herauszugreifen und noch zu ergänzen wäre, dass – sollte das Beispiel Schule machen – nicht nur sozialstaatliche Pflichtaufgaben substituiert werden, sondern auch die Schicksale immer dramatischer werden müssen, um aufzufallen.

Spannend an Oles Projekt ist aber, dass sich hier im Kleinen idealtypisch die Merkmale solcher Online-Aktionen zeigen, auf die sich alle einstellen müssen, die mit gemeinnützigen Web 2.0-Aktionen online gehen, eben auch gemeinnützige Organisationen:

  • Kurzfristig schafft man enorme Aufmerksamkeit und Traffic: Ole sprach von einem Besucherzuwachs von 500 Prozent.
  • Man muss Ressourcen einplanen: Kommentare wollen beantwortet werden, Spender Dankesmails bekommen und über den Fortgang des Projekts informiert werden.
  • Man muss kritikfähig sein: Ole musste ziemlich schnell kritische Kommentare beantworten („Deine Hilfe wirklich in Ehren, aber wäre es nicht zuerst sinnvoll Sozialhilfe für Uwe zu beantragen?“), das bedeutet…
  • …man muss Kontrolle über die Debatte und Deutungshoheit abgeben – für Organisationen mit einem klaren Leitbild nicht immer einfach.

Anschliend hatte ich noch anregende Gespräche mit zwei entwicklungspolitischen Journalisten, unter anderem mit Klaus Boldt, dem Macher von epo.de. Das hat mich darin bestärkt, dass Social Media und Web 2.0 demnächst tatsächlich auch bei entwicklungspolitischen NGOs ankommen. Für das Socialcamp 2009, das am 3./4. Oktober wieder in Berlin stattfindet, kann das nur eine Bereicherung bedeuten.

3 comments

  1. Gebe Dir Recht, dass die Referate dieses mal durchwachsen waren und will mich selbst da gar nicht ausnehmen (hätte mich sicherlich besser vorbereiten können).

    Was LXDE angeht, so hat mich weniger der werbliche Auftritt gestört, sondern viel mehr die Tatsache, dass der Nutzen des Produktes – Linux schneller machen (so hab ich‘s verstanden) – wahrscheinlich nur für eine sehr, sehr kleine Zielgruppe relevant ist. Denke hier hätte man, auch für mich, eher grundsätzlich darauf eingehen sollen, dass man mit freier Software Geld sparen kann (nicht zuletzt für NPOs interessant) und dies gar nicht so schwer sein muss. Ne kurze Frage in die Runde wer denn schon Linux nutzt hätte am Anfang sicherlich viel gebracht.

    Ole Vortrag wiederum fand ich extrem spannend, auch wenn die von Dir eingebrachten Bedenken sicherlich nicht falsch sind. Frage mich halt, inwiefern man mit Menschen experimentieren darf, auch wenn es der Guten Sache dienen soll. So oder so vertraue ich darauf, dass Ole die Aktion im Zweifelsfall rechtzeitig abbricht.

  2. Hi Ulrich,

    vielen Dank für deinen m.E. sehr gut reflektierenden Beitrag und deine berechtigte Kritik bzw. deine realistische Darstellung meines Kurz-Vortrages und der Aktion Uwe.

    Ich kann das so unbedingt teilen – habe gerade heute mit einer Journalistin ausgiebig auch die Nachteile der „Einzelschicksals-Darstellung“ und das potenzielle Risiko der Dramatisierung diskutiert. Auch hat sich das Obdachlosenmagazin Hinz und Kunzt bei mir gemeldet, um ähnliche Bedenken zu thematisieren. Ich kann das nur gutheißen und denke: Wir müssen allesamt noch eine Menge lernen, um dieses neue Medium sorgsam und vorsichtig, sowie den jeweiligen Menschen gerecht anzuwenden.

    Ich denke aber, dass man auch bei solchen Einzel-Darstellungen langfristig (ähnlich, wie es bei Kinderpatenschaften schon der Fall ist) das Geld dann zwar möglicherweise über die transparente Darstellung einzelner Fälle sammelt, es dennoch aber keine rein zweckgebundenen Spenden, sondern leichte Umverteilungen (also einen kleinen Solidaranteil pro Spende) geben muss.

    Nur so kann verhindert werden, dass nur das hübscheste Baby oder der dramatischste Fall von Obdachlosigkeit Spenden erhält… außerdem sollten m.E. nachwievor ausgebildete Experten entscheiden, wo die Not am größten ist und wie hier vorgegangen werden kann.

    Deshalb werde ich über kurz oder lang auch für Uwe professionelle Unterstützung anfragen. Es wäre anmaßend, wenn ich behaupten würde, ich könnte den Job eines guten Sozialarbeiters oder Psychologen übernehmen – aber ein bißchen Aufmerksamkeit hilft, so denke ich, als Starthilfe in die richtige Richtung.

    Schade, dass wir uns an dem Abend gar nicht persönlich gesehen haben, aber das holen wir dann spätestens beim SocialCamp im Oktober nach.

    Also nochmal: Vielen Dank für die guten Punkte und Anregungen. Und an Basti: du siehst das ganz richtig: Wenn die Aktion aus dem Ruder laufen sollte, breche ich rechtzeitig ab bzw. übergebe die Sache an jemanden, der es handlen kann.

    Liebe Grüße
    Ole Seidenberg

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