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Barack Obamas Kampagne und was NGOs daraus lernen können

Die Wahlkampagne des demokratischen US-Präsident- schaftskandidaten (und nun kommenden Präsidenten) Barack Obama zeigt einige Tendenzen auf, die auch für Nichtregierungs- organisationen von Bedeutung sind. Dieser Blogpost blickt ein wenig hinter die Mechanismen der Obama-Kampagne.

Nach seinem Wahlsieg ist die Kampagne Obamas in vielen traditionellen Medien (aber auch Blogs) als ’neu‘, ‚ganz anders‘ oder gar ‚revolutionär‘ beschrieben worden. Zudem wurde dabei auch fast immer das Internet als entscheidener Faktor angeführt. Meiner Ansicht nach ist Obamas Kampagne aber ganz und gar nicht ‚anders‘ oder ’neu‘ geführt worden, viel mehr ist sie beinahe der Inbegriff einer klassischen Anwendung der gängigen Kampagnentheorie. Nur eines macht den Unterschied aus: das Team um Barack Obama hat die Kampagne bis ins letzte Detail konsequent geplant – und vor allem auch durchgeführt.

In der Kampagnentheorie werden als Voraussetzungen für eine erfolgreiche Kampagne häufig folgende Faktoren benannt: ein klares Ziel (bestmöglich verbunden mit einer eindeutigen Zielgruppe), eine deutliche und einprägsame Botschaft, ein fester Zeitrahmen und ein hoher Wiedererkennungseffekt. Barack Obama hatte all dies – auch wenn es sich natürlich im Laufe seiner Kampagne, bei der es zu erst um die Vorwahlen und um die Präsidentschaft ging, verändert hat. Seine klare Botschaft war Change, also Wandel. Ein Wort, ein Begriff. Einprägsam und für jeden verständlich. Und er hat sie später geschickt mehr und mehr mit Inhalten unterfüttert. Der Zeitrahmen für seine Kampagne war vorgegeben: erst durch die Vorwahlen der Demokraten, dann durch die Präsidentschaftswahl selbst. Der Wiedererkennungseffekt war nicht nur im Design seiner Kampagne und in der Botschaft fest verankert, sondern vor allem auch in seiner Person selbst. Sein Charisma, seine Rhetorik, sein ‚Gesicht‘ machten ihn unverkennbar. Natürlich hat sich auch dies erst Stück für Stück herauskristallisiert, aber sein Kampagnenteam hat seine Stärken immer besser herausgearbeitet. Seine Zielgruppe hingegen war riesig: das amerikanische Wahlvolk an sich. Aber er konnte dies unterteilen, zu erst mußte er ’nur‘ die demokratischen Wähler für die Vorwahlen überzeugen. Dafür hat er sich geschickt auch der Gruppen – wie z.B. farbige Wählerschichten – bedient, die ihm schon positiv zugestimmt waren.

Obama hat also einen recht klassischen Ansatz der Kampagne geführt, diesen aber konsequent und effektiv auch durch das Internet ergänzt. So hat sein Wahlkampfteam von Beginn an jede Möglichkeit genutzt, um Kontaktdaten abzugreifen. Als Folge entstand eine riesige Datenbank, die geschickt über kurze Kommunikationswege eingesetzt wurde: e-mail und SMS ermöglichten einen extrem schnellen, unkomplizierten, zeitsparenden und kostengünstigen Zugriff auf die eigenen Unterstützer. Dieser Kommunikationskanal wurde bis zum äußersten ausgenutzt: zum Spendensammeln und zum Mobilisieren der eigenen Unterstützer. Joe Trippi, der Kampagnenmanager von Howard Dean in Jahre 2004, hat den zweiten Super Tuesday am 4. März als den Zeitpunkt angegeben, als er wußte, dass Obama wirklich eine Chance hat. An diesem Tag fanden u.a. die Vorwahlen in Texas statt, wo Hillary Clinton 20.000 Freiwillige als Unterstützer auf der Straße hatte. Doch über 100.000 Texaner hatten sich auf der Homepage my.barackobama.com registriert. Das Team von Obama nutzte diese große Zahl an Interessenten, um sie gezielt zur Abgabe ihrer Stimme, zur Ansprache von Nachbarn und Freunden und zur finanziellen Unterstützung der Kampagne aufzurufen. Am Ende konnte Obama 99 Delegierte in Texas auf sich vereinigen, Clinton nur 94 (ausführlich nachzulesen im hochinteressenten Artikel „How Obama really did it“ von David Talbot, erschienen im Technology Review September/October 2008).

Doch das Team um Obama hat nicht nur hervorragende Arbeit beim Sammeln der Daten geleistet (vgl. dazu auch ausführlich „Obama`s Win and the Power of Networking), entscheidend war auch die Zugänglichkeit selbiger. Das Zauberwort hier war Transparenz: im Endeffekt konnte nahezu jeder, der sich auf der Obama Website registriert hatte, auf die gesammelten Daten zugreifen. So konnten Unterstützer kleine und große Gruppen bilden, Leute aus der Nachbarschaft gezielt ansprechen etc. Transparenz spielte aber auch noch an einer anderen Stelle eine große Rolle: Obama selbst hat durch Transparenz und extrem flache Hierachien den Eindruck vermittelt jederzeit für jeden ansprechbar zu sein. Er tat dies über e-mails, twitter-Nachrichten oder Beiträge in sozialen Netzwerken wie Facebook und festigte diesen Eindruck später in seinen Wahlwerbespots. Natürlich wird er nur einen Bruchteil dieser Nachrichten, e-mails oder tweets (wenn überhaupt) selbst geschrieben haben, aber beim Nutzen kam dies anders an. Er war – um den alten Kalauer zu bemühen, aber er passt hier eben gut – ein Kandidat zum Anfassen. Keiner, der sich hinter seinem Team oder einer großen Bürokratie versteckte.

Natürlich ist diese Auflistung nicht komplett und kann auch keinesfalls vollständig den Wahlsieg Obamas erklären. Auch die Übertragbarkeit dieser Kampagne auf die deutsche Politikszene sei dahingestellt. Markus Beckedahl hat unter dem Titel „Vergleich: Obama-Kampagne und deutscher Internetwahlkampf“ dazu auf netzpolitik.org einen interessanten Artikel verfasst. Dabei geht er auch auf bestimmte Unterschiede im politischen System zwischen den USA und Deutschland ein. In Bezug auf das Internet darf dabei eines aber nicht außer acht gelassen werden: Deutschland liegt in der Internet-Nutzung und -Zugänglichkeit nur noch wenig hinter den USA. Während in den USA ca. 55% der Bevölkerung über einen Breitband-Internetzugang verfügen, sind es in Deutschland ca. 46% (siehe zur Internetnutzung in Deutschland auch unseren NGO-bezogenen Blogartikel). Die Voraussetzungen für vergleichbare Verknüpfungen innerhalb einer Kampagne sind also durchaus gegeben.

Doch was für Rückschlüsse lassen sich aus der Obama-Kampagne konkret für NGOs ziehen?

1. Netzwerke pflegen – das Internet ergänzt
Obwohl es in der Berichterstattung häufig zu kurz kam, auch Obama hat den Erfolg seiner Kampagne insbesondere auch der Mund-zu-Mund-Propaganda zu verdanken oder – um es etwas auszuweiten – der Pflege eines Netzwerkes. Tausende von seinen Unterstützern sind von Tür zu Tür gegangen und haben für ihn geworben, überall in den USA haben sich Unterstützergruppen gebildet: sie haben Veranstaltungen organisiert, Leserbriefe an Lokalzeitungen geschrieben und Überzeugungsarbeit geleistet. Später konnte das Kampagnenteam dies durch umfangreiche Medienarbeit unterstützen, allerdings erst nachdem sie große Summen an Spendengeldern gesammelt hatten (siehe dazu den letzten Punkt dieser Auflistung).  Die Netzwerkpflege war also auch bei Obama das A und O. Sie wurde geschickt ergänzt durch seine Aktivitäten im Internet, wo das Pflegen der Netzwerke auf Grund der kurzen und direkten Kommunikationswege einfacher und kostengünstiger war (siehe oben). Der Rückschluss für NGOs bleibt ein alt bekannter: Netzwerke pflegen, mit Menschen direkt in Kontakt treten, sie überzeugen ist die wichtigste Aufgabe jeder Kampagne. Das Internet kann diese Arbeit erleichtern und unterstützen, ersetzen kann sie sie jedoch nicht.

2. Transparenz erzeugen und flache Hierachien institutionalisieren
Damit sich jedeR im Netzwerk ernst genommen fühlt, bedarf es großer Transparenz. Als Unterstützer einer NGO möchte ich wissen, was die Organisation macht (oder wohin genau meine Spendengelder fliessen). Ich möchte zudem die Ansprechpartner kennen und erreichen können. Aber ich möchte auch mitmachen können. Der Kampagnen-Leitspruch ‚You don`t own the cause‘ (Dir gehört das Anliegen nicht) ist dabei wichtiger denn je. Die Obama-Kampagne hat dies vorgemacht: jeder Unterstützer durfte mitmachen, aktiv werden und das Thema ‚Wandel‘ in seinem Verständnis propagieren. Natürlich gab es inhaltliche Leitlinien, aber es gab auch die Möglichkeit die Inhalte im Sinne der persönlichen Bezüge anzupassen. Das Team um Obama hatte dabei keine Angst vor seinen Unterstützern, vor falschen Botschaften oder wie und von wem die Kampagne getragen wurde.

3. Sei ein Dienstleister: erhöhe die Erreichbarkeit und den Zugang
Daran schließt sich die Dienstleister-Funktion der Kampagne an. Sie stellt bereit, sie bereitet auf und vor. Auf der Website von Obama konnten z.B. Poster- und Flyervorlagen heruntergeladen werden, die dann an die örtlichen Gegebenheiten angepasst werden konnten. Sie konnten also abgeändert werden, um sie auf die speziellen Bedürfnissen der Unterstützer zuzuschneiden. Dadurch fühlte sich jeder auch als mitverantwortlich für das Erscheinungsbild der Kampagne. Dazu muss natürlich auch sichergestellt werden, dass jedeR alle benötigten Materialien jederzeit und überall erhalten kann. Sei es per Internet, sei es per Post oder bestenfalls gar persönlich. All dies benötigt eine strategische Planung, die eine Vielzahl von Zugängen zur Kampagne im Auge behält und diese auch vorhält. Es erhöht aber auch den Druck auf die NGOs zeitlich felxibler zu agieren. Ich muss meinen Unterstützern dann zur Verfügung stehen, wenn sie es brauchen. Und das kann durchaus bei vielen außerhalb der normalen Büro-Öffnungszeiten sein. Die Erreichbarkeit steht dabei gerade in Hochphasen der Kampagne im Mittelpunkt. Oder wie es Peter Deitz kurz und bündig – und natürlich gnadenlos überspitzt – in seinem Blogartikel „How will your nonprofit raise money in 2012?“ ausdrückte: „Get an iPhone“. Das gilt übrigens nicht nur für die Kampagnenmanager oder Mitarbeiter der Öffentlichkeitsabteilung, sondern auch für die Spitzen einer NGO. Der (wenn auch manchmal nur prinzipiell) mögliche Kontakt zu ihnen ist für viele Unterstützer extrem wichtig.

4. Arbeiten Sie nachhaltig
Eigentlich auch ein ganz klassischer Kampagnenansatz: haben Sie immer auch schon das Ziel im Auge. Am Beginn einer Kampagne sollte jede NGO bereits wissen, wie das Ende, der Abschluß der Kampagne aussieht. Gibt es eine Übergabe von Überschriften, eine Demonstration, ein tolles Abschlussfoto etc. Aber das ist nur ein Teil der Medaille: eine Kampagne weckt auch Erwartungen. Die Unterstützer gewöhnen sich an die – möglicherweise neuen und anderen – Informations- und Kommunikationskanäle. Ein Zurückfallen auf alte Wege und Strukturen sollte verhindert werden. Stattdessen ist eigentlich jede durchgeführte Kampagne auch immer ein Sprung vorwärts in der Entwicklung der NGO – wenn sie denn nachhaltig betrieben wird. Obama hatte das Ende seiner Kampagne klar vor Augen: er wollte Präsident werden und hat es geschafft. Gleichzeitig war das natürlich nur der Anfang seiner nun folgenden großen Aufgabe: das Regieren. Und er hat schon am Tag nach seinem Wahlsieg deutlich gemacht, dass sein Kampagnenmotto auch in die weitere Arbeit einfliesst. Das sofort online geschaltete Portal change.gov ist ein gutes Beispiel dafür. Die in der Kampagne erfolgreichen Instrumente Transparenz, Erreichbarkeit, kurze Kommunikationswege soll seinen Unterstützern (und allen Bürgern) auch in Zukunft zu Gute kommen.

5. Im Spendenbereich die kleinen Ziele propagieren
Spenden-NGOs sind in hohem Maße von der Kommunikation mit ihren Unterstützern abhängig. Die Obama-Kampagne hat soviel Geld in einem Wahlkampf gesammelt wie noch nie ein US-Politiker zuvor. Doch das Geheimnis dahinter waren nicht Großspenden, sondern stattdessen Millionen von kleinen und kleinsten Spenden. Die Kampagne hat genau dafür gezielt geworben: „Schon 5 Dollar reichen“ oder „Wir brauchen 1000 Dollar für diese Anzeige: Sie und ihre Freunde zusammen können uns dabei helfen“. Wie schon in unserem Blogbeitrag zum Online Spenden sammeln aufgezeigt, hat auch hier das Prinzip der Kommunikation von klaren Zielen und Projekten den Ausschlag gegeben. Die Unterstützer sollten nicht ‚einfach so‘ oder ‚für die Kampagne‘ spenden, sondern für konkrete Projekte. Zudem wurde immer wieder insestiert, dass wirklich jeder Dollar hilft den Wandel herbeizuführen. Dabei wurde auch immer wieder das Instrument der persönlichen Ansprache durch Obama selbst herangezogen. Die Unterstützer fühlten sich wichtig genommen – auch wenn sie nur wenige Dollar geben konnten.

Auch in diesem Blogartikel konnten natürlich nur kleine Teile des Kampagne von Obama beleuchtet werden. Es ging mehr um übergreifende Prinzipien, denn um Details. Wichtige Aspekte wie die Rolle der Medien, die gesamtwirtschaftliche und -politische Lage sind unbeachtet geblieben, waren aber auch nicht wirklich Teil der Überlegungen. Dennoch ein kleines Fazit zum Schluß: meiner Meinung nach war die Kampagne von Barack Obama deshalb so erfolgreich, weil die macher keine Angst hatten. Keine Angst davor zu verlieren (weil sie zu Beginn eh als Chancenlos eingestuft worden waren), aber vor allem keine Angst vor dem Kontakt zum ‚Jedermann‘ auf der Straße. Das hat sich in Transparenz und flachen Hierachien niedergeschlagen, aber auch in der exzessiven Nutzung des Internets als unterstützendes Kommunikations- und Kampagnenmittel. Zudem war die Kampagne – wir anfangs betont – extrem stringent und konsequent. Mit der Anwendung klassischer Vorgaben aus der Kampagnentheorie wurde eine moderne, zielgerichtete und zeitgemäße Kampagne gefahren. NGOs können daraus lernen – wenn sie denn wirklich wollen.